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Peter WittstadtPeter Wittstadt

 

"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne "

Peter Wittstadt arbeitet gerne in Zyklen, in denen er sich eine Aufgabe stellt, die er immer und immer wieder auf neue Weise bearbeitet. Irgendwann im Laufe eines längeren Schaffensprozesses erreicht er einen von ihm selbst akzeptierten Grad an Vollendung, der ihn diese Aufgabe - sei es zeitweise, sei es für immer - als abgeschlossen erkennen lässt. Aber wann ist ein Kunstwerk vollendet? Gibt es diesen Zustand für ein Kunstwerk überhaupt? Ein Anzeichen für jenen schmalen Grat zwischen Vollendung und Verderben ist für Peter Wittstadt, wenn sich bei ihm in der Arbeit eine gewisse kalte Professionalität einstellt und das suchend tastende Ringen um Form und Ausdruck vertreibt. In dieser Phase gelingt scheinbar alles. Dann aber gilt es für Wittstadt innezuhalten, sich neuen Aufgaben zuzuwenden und das große Geheimnis Kunst von einer anderen Seite aus zu ergründen. Das erklärt zum Teil die ausgesprochene Vielseitigkeit seines Werks. Er lässt sich nicht nur als Maler, als Graphiker oder als Bildhauer alleine beschreiben, sondern sucht stets im jeweilig anderen Genre nach tragfähigen Ansätzen, die ihn als Künstler weiterbringen.

Als gestandener Steinmetz, der jederzeit ein solides Auskommen in seinem erlernten Handwerk hätte finden können, begann Wittstadt an der Akademie in Nürnberg zu studieren. Einige lebensgroße Akte aus diesen Jahren haben sich bis heute in seinem Haus in Karlstadt-Laudenbach erhalten und belegen eindrücklich, wie sehr ihn das Schaffen seines Lehrers Wilhelm Uhlig damals geprägt hat. Von dessen Wirklichkeitsnähe musste er sich befreien und nach einem eigenen, einem eigenständigen Weg suchen. Eine Möglichkeit waren in den neunziger Jahren unter anderem Holzschnitte in expressionistischer Manier. Erwähnt seien "Kauernde" oder "Zwei Frauen vor Landschaft". Diese Drucke reichten in Thema und Darstellungsweise an Künstler wie Kirchner oder Heckel heran, ja waren teilweise durchaus kongenial. Weitere solcher Holzschnitte orientierten sich an Picasso und variierten unter anderem das Thema "Maler und Modell".
Es scheint mir wesentlich für Peter Wittstadts Verständnis von Kunst, dass er vor dem Hintergrund dieser Erfahrung mit dem Druckstock gleichzeitig auch den Stein "holzschnittartig" bearbeitet hat: Die volumetrischen Gegebenheiten des aus dem Fels gebrochenen Blocks aufnehmend, inszenierte der Bildhauer durch sparsame Eingriffe in den Stein große, reduzierte Gesten voller Kraft und Ausdruck. Die "Liegende" von 1993 mag als ein Beispiel dafür dienen. Danach folgte erneut eine möglicherweise überraschende Volte: Ausgehend von diesen flächigen Kompositionen schuf er als Graphiker in der Art von Matisse reduzierte farbige Figuren, in denen er Themen wie Tanz und Bewegung bei größtmöglicher Eleganz nur durch farbig angelegte Flächen als abstrakte Schattenrisse vor Augen führte.

Was sich, wie eben in knapper Weise versucht, in der kunstgeschichtlichen Rekonstruktion im Nachhinein als logisch und konsequent aufeinander aufbauende Entwicklung beschreiben lässt, dürfte in Wahrheit wesentlich vielschichtiger und von dem einen oder anderen verworfenen Irrweg begleitet gewesen sein. Manches war auch bereits früh angelegt: Darauf verweisen zum Beispiel noch während des Studiums an der Akademie geschaffene, stark abstrahierte Kleinbronzen in der Art von Idolen der Frühzeit, die bis in das Schaffen der unmittelbaren Gegenwart vorausweisen. Die eine oder andere Formidee seines gegenwärtigen Schaffens ist so im Strom der allgemeinen Entwicklung von Peter Wittstadt über lange Jahre scheinbar unbeachtet mitgetrieben, um dann in einem glücklichen Augenblick von ihm als weiterführender Ansatz erst begriffen zu werden.

Ein Grundzug in seiner künstlerischen Entwicklung scheint jedoch über die letzten zwanzig Jahre hinweg dominant geblieben zu sein: Ganz konsequent hat sich Peter Wittstadt immer stärker von der Monumentalität seines frühen, noch unter dem Einfluss der Akademie entstandenen Werks abgekehrt und sich einer besonderen Form von Ursprünglichkeit des Ausdrucks zugewandt. Bereits 1987 schuf er mit "Herbert" die nur 13 cm hohe Bronzestatuette eines männlichen Aktes, die ohne jegliches akademische Pathos auskommt. Auch zwei "Hockende" von 1988 und 1991, gerade einmal 3 beziehungsweise 11 cm hoch, gehören in diese Reihe. Man könnte eine solche rigoros reduzierte Form des Ausdrucks mit Archaik beschreiben, einer Kunstrichtung, wie sie insbesondere in den späten fünfziger und sechziger Jahren in München im Kreis um den Bildhauer Kirchner erfolgreich betrieben wurde. Die Archaiker wollten im Gegensatz zu den Anstrengungen von abstrakter und informeller Kunst zu den Frühformen der Kunstentwicklung zurückkehren und von dort aus eine neue Figürlichkeit entwickeln. Aber Peter Wittstadt fehlt jeglicher rückwärts gewandter Ansatz. Seine Ursprünglichkeit in der Figurenbildung leitet sich nicht von steinzeitlichen Idolen oder Skulpturen der Romanik her. Näher steht sie vielmehr der unverbildeten Naivität von Kinderzeichnungen. Kinder kennen keine Vergangenheit, nur Zukunft. Wenn Kinder zu malen beginnen, dann setzen sie eigenständig kraftvolle Zeichen, ohne auf Vorbilder in der Natur oder gar in der Kunst zurückzugreifen. Bilder von Kindern, die vor der Phase der Kunstverziehung in Kindergarten oder Schule gemalt wurden, zeigen eine Wirklichkeit für sich. Wenn man Kinder nach Inhalt und Darstellung befragt, erhält man häufig ein abschließend bestimmtes "weil halt" zur Antwort.

Diesen wunderbaren und in bester Weise naiven Ansatz von Kinderbildern hat sich Peter Wittstadt seit einigen Jahren besonders zu eigen gemacht. Latent vorhanden war das, wie gesagt, bei ihm schon lange: Beispiele dafür sind Zeichnungen wie die "Einsame Kuh" von 1991 oder der Holzschnitt "Zwiegespräch" von 1993. Unter dem Sammeltitel "Leben und leben lassen" hat er eine Serie solcher meist mehrfarbiger Holzschnitte geschaffen, in denen er derlei "naiven" Ideen Gestalt verliehen hat. In dem Zyklus "Adelheid es ist soweit" griff er in seinen seit etwa 2006 entstandenen Mischtechniken dann wieder darauf zurück. Auf großformatigen Leinwänden inszeniert er mit weit ausholenden Gesten in der Art von Kinderzeichnungen Figuren, denen er Titel wie "Grünhild" (2007) oder "Sommerabend bei König Lear" (2007) gab. Ein anderes Bild hat er "Karawane der Eitelkeiten" (2006) benannt.
Spätestens jetzt wird deutlich, dass die vorgetragene Naivität der Darstellung und die den Arbeiten verliehenen Titel auseinanderklaffen; das eine hat mit dem anderen vordergründig nichts zu tun: Es geht weder darum, aus den Zeichnungen von Kindern Kunst zu machen, noch darum, große Allegorien zu inszenieren. Beides sind für mich für den Betrachter ausgelegte "Köder", die neugierig auf Wittstadts Bilder machen sollen: Bilder, die doch eigentlich zunächst nur aus mit Farbe bedeckten Leinwänden bestehen. Bilder, die vom Maler auf dem Boden liegend mit dem Pinsel von allen Seiten her bearbeitet werden, bis sich im Laufe der Arbeit darauf eine wie auch immer geartete Figur einstellt, die dem Gemälde Ansätze von Halt und Struktur vermittelt. Dann wird für Wittstadt daraus "Troja" (2006) oder "Amazone" (2006) oder, horribile dictu, auch ein "Verlorener Überblick" (2006).

Dies gilt auch für Peter Wittstadts "Köpfe", einen Zyklus aus den Jahren 2004 und 2005. Erneut arbeitet er mit Titeln, die merkwürdig vertraut klingen und nutzt die vergröbernde Art einer kindlichen Bildersprache. Wir verstehen angesichts des querrechteckigen, "fernsehgerechten" Kopfes sofort, warum ein Gemälde mit "Der Überlebende der Mediengesellschaft" überschrieben ist: So wird Artentwicklung vom 20. Jahrhundert an vermutlich aussehen. "Der Kakteenfreund" oder "Vincents vergessene Sonnenblumen" sind sofort nachvollziehbare Verweise auf Spitzweg und Van Gogh. An ein Chanson von Hildegard Knef erinnert "Hildegards Rosenregen". Arbeiten mit Titeln wie "Dunkel war's, der Mond schien helle" oder "Friederikes Morgendämmerung" erschließen sich dagegen nicht so leicht und dürften einer ganz persönlichen Ikonographie folgen. Immer aber handelt es sich bei den Bildern dieser Serie um groß ins Bild gesetzte, starkfarbig in vielen einzelnen Spielarten von Rot inszenierte Köpfe auf langen Hälsen.

Stets aber bleibt auch in Wittstadts übrigem Schaffen eine wie auch immer geartete Figur der Kern einer solchen Darstellung oder schält sich im Laufe der Arbeit dann als solche heraus. Sie wird der Nukleus einer dann bis zur Vollendung bearbeiteten Bildidee. Als Beispiele nenne ich "Amazone" (2006) oder "Schönheit des Tsunami" (2006). In solchen Arbeiten spätestens trennt sich des Künstlers Arbeitsweise von der der Kinderzeichnungen, denn jetzt ist der abwägende Verstand gefragt, jetzt gilt es mit der über die Jahre hart erarbeiteten Erfahrung um den einmal erkannten Bildgegenstand zu ringen. Ein solcher Bildgegenstand muss dann aber freilich nicht mehr Teil unserer sichtbaren Realität sein. Hier ist Kunst ganz Kunst und sonst gar nichts.

Und dann ist da noch etwas, das die Arbeit von Peter Wittstadt auszeichnet: Humor. Es ist kein dröhnend lautes Lachen, das angesichts seiner Werke im Betrachter aufsteigt. Es ist nicht die spitzzüngige, den Betroffenen am Ende doch verletzende Karikatur, die wir mit Schadenfreude quittieren. Nein, es ist ein leichtes, verstehendes Schmunzeln, das uns vor vielen Bildern von Peter Wittstadt die Augen leuchten macht: So sind wir Menschen halt! Menschen mit allen möglichen kleinen und großen Macken.

Der Künstler führt uns das in den "Köpfen" genauso vor Augen, wie in seinen Skulpturen und Plastiken. Eine "Stehende" (2005) braucht nur 5 cm klein zu sein, sie braucht keine Arme oder Hände, um sie in ihrer ganzen törichten Eitelkeit zu erfassen, obwohl nichts an ihrer körperlichen Erscheinung Anlass zur Eitelkeit gäbe. Nicht viel größer ist das "Paar" (2002): Zwei miteinander alt und auch ein wenig rundlich gewordene Menschen, die sich einander genügend an den Händen fassen und offenen Auges erwartungsfroh in die Zukunft blicken.

Ja, und da ist noch ein anderes, ein junges "Paar" (2003). Alles an ihnen ist freudige Erwartung: Die entspannte Haltung ihrer einander zugewandten Körper, ihre überlangen, weit ausgebreiteten Arme mit den großen, sich bald zärtlich berührenden Händen und noch so mancher andere Teil ihrer Leiber zeigt mehr als deutlich, wie sehr die beiden sich aneinander freuen werden.

Erich Schneider
Schweinfurt, im Juli 2010


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