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Peter WittstadtPeter Wittstadt

 

Wohl eine erste Frage, die sich die Menschheit stellte, ...

als sie über sich selbst nachdachte, war: woher kommen wir?  Und diese Frage stellt sich uns heute noch. Und wir glauben, dass wir der Antwort dann am nächsten sind, wenn wir unsere frühesten Ausdrucksformen erkennen können.
Es ist nicht gerade einfach, den Nebel des Vergessens, der sich über solche Dinge legt, zu lüften. Und wenn es zu gelingen scheint, wissen wir selten mit Sicherheit, ob es nur ein Glaube an etwas ist oder ob es tatsächlich zutrifft, was wir als Erkenntnis ausgegraben haben.

Auch die Wissenschaft ist in dieser Frage sehr spekulativ. Wenn ein Künstler wie Peter Wittstadt sich eine solche Frage stellt, dann sucht er nach den Quellen menschlicher Fantasie und Ausdrucksweise in der „naiven, kindlichen Formensprache“. Was er keineswegs tut, ist Kinderzeichnungen nachzuahmen. Vielmehr konzentriert er sich darauf alle intellektuellen Übereinkünfte einer künstlerisch/akademischen Ausbildung auszublenden, um so zu einer schlichten, oft ungelenk wirkenden Strichführung und Kolorierung zu gelangen.

Eines der dabei bedeutenden Mittel ist die absolut flächige Bildgestalt. Es werden alle Elemente einer auch nur ansatzweise erkennbaren räumlichen Illusion vermieden. Selbst die Zusammensetzung einzelner Bildelemente verteilt sich im Bildraum ohne Zuordnung eines Oben oder Unten oder von rechts und links oder gar einer bestimmten Leserichtung der Bilder, wenngleich die Farbpalette oftmals den sehr versierten Künstler erkennen lässt.

Seine Skulpturen folgen einem ähnlichen Konzept. Wenn er in seinen frühen Werken sehr geometrische Formen kreierte – da wurden Figuren in ein kubisches Rundumrelief gepresst – verlässt er diese Formideen in seinen jüngeren Skulpturen völlig. Keine räumlichen Größenverhältnisse werden eingehalten, und Zuordnungen einzelner Figurenelemente nehmen keine Rücksicht auf Richtigkeit. Schrundige und beulige Oberflächen lassen mehr von den Arbeitsabläufen erkennen denn von der glatten und eleganten Oberfläche eines realen und schönen Körpers. Von all diesen Bild- und Figurenelementen ist der Betrachter äußerst herausgefordert und oftmals macht sich Hilflosigkeit auch beim Fachpublikum breit.
Der Begriff des Horrorwittchens, wie sein überlebensgroßes, in Bronze gegossenes Schneewittchen in Lohr bezeichnet wurde, drückt genau diese Verwirrung und Ratlosigkeit aus. Dabei ist diese Figur bei unvoreingenommener Betrachtung von einer fremd anmutenden Ästhetik und von einer übermäßig lebendigen Gestalt geprägt. Was diesen Figuren vollkommen fehlt, ist Langeweile oder Begegnung mit Bekanntem.

Wer sich auf die Idee einlassen will, die in den Werken des Künstlers Peter Wittstadt steckt, muss all seine überkommenen Erkenntnisse und Bildmuster über Bord werfen und bereit sein, in unbekanntem Terrain ohne bereitgestellte Orientierungshilfen sich zurecht zu finden. Eine Wanderung in unwegsamen Gelände könnte man das taufen oder durch den Fantasiedschungel eines Künstlers, der sich selbst nie zufrieden gibt mit errungenen Zwischenstationen.

Egon A. Stumpf
2023 - Text für den Katalog anlässlich der Ausstellung im Schloss in Oberschwappach


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